Von Heimat redet hier keiner
2000 erschien Wäldchestag, das preisgekrönte Erstlingswerk von Andreas Maier. Für mich ein großer Wurf und eines der lesenswertesten deutschen Bücher der letzten 20 Jahre. Diese Einschätzung rührt sicher auch daher, dass ich damals schon sieben Jahre in Hessen lebte und mit dem Begriff Wäldchestag etwas anfangen konnte. Hubert Spiegel in der FAZ zog Parallelen zu Thomas Bernhard (Tonfall), Eckhard Henscheid (Liebe zum Geschwätz) und Arnold Stadler (der mikroskopische Blick aufs Dorf).

Wer das Dorfleben, speziell das hessische, nicht kennt, muss bei der Lektüre eine zusätzliche Hürde nehmen. Dabei gibt es eine lesenswerte soziologische Einführung in das Dorfleben genau jener Wetterau, in der Wäldchestag von Andreas Maier spielt. Ich bin fast sicher, daß Andreas Maier das Buch von Kurt Anker, das ich hier empfehle, gelesen hat. Der Titel Von Heimat redet hier keiner ist programmatisch. Anker schreibt wie Maier über die Heimat – die Wetterau ist Ihre gemeinsame Heimat - ohne den Begriff selbst zu strapazieren. Und sie stellen fest, dass auch die anderen Wetterauer nicht von Heimat reden, weil ihr ganzes Reden (und Handeln) Heimat ist. Kurt Anker - der Name ist Pseudonym, weil der Autor in dem ungenannten Dorf lebt, das er beschreibt - hat das Dorfleben viele Jahre beobachtet und schreibt über die Regeln und Besonderheiten des alltäglichen Lebens. Er erläutert die ungeschriebenen Gesetze, die Zugereiste nicht kennen und nicht erkennen können. Sein besonderer Blick gilt den Außenseitern des Dorfes und der heranwachsenden Jugend – und da schließt sich der Kreis zu Andreas Maier und seinen Helden Schossau und Wiesner.

Buchtipp:
Kurt Anker: Von Heimat redet hier keiner, Marburg, 1987. Vergriffen, aber in gutsortierten Antiquariaten erhältlich
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